Ernst Haeckel, Die Welträtsel - 2. Kapitel

2. Kapitel

Unser Körperbau

Monistische Studien über menschliche und vergleichende Anatomie. Übereinstimmung in der gröberen und feineren Organisation des Menschen und der Säugetiere.

Inhalt: Grundlegende Bedeutung der Anatomie. Menschliche Anatomie. Hippokrates. Aristoteles. Galenus. Vesalius. Vergleichende Anatomie. Schleiden und Schwann. Kölliker. Virchow. Wirbeltier-Natur des Menschen. Tetrapoden-Natur des Menschen. Säugetier-Natur des Menschen. Plazentalien-Natur des Menschen. Primaten-Natur des Menschen. Halbaffen und Affen. Katarrhinen. Papiomorphen und Anthropomorphen. Wesentliche Gleichheit im Körperbau des Menschen und der Menschenaffen.

Alle biologischen Untersuchungen, alle Forschungen über die Gestaltung und Lebenstätigkeit der Organismen haben zunächst den sichtbaren Körper in's Auge zu fassen, an welchem uns die betreffenden morphologischen und physiologischen Erscheinungen entgegentreten. Dieser Grundsatz gild ebenso für den Menschen wie für alle anderen belebten Naturkörper. Dabei darf sich die Untersuchung nicht mit der Betrachtung der äußeren Gestalt begnügen, sondern sie muss in das Innere derselben eindringen und ihre feineren Bestandteilen erforschen. Die Wissenschaft, welche diese grundlegende Untersuchung im weitesten Umfange auszuführen hat, ist die Anatomie.

Menschliche Anatomie

Die erste Anregung zur Erkenntnis des menschlichen Körperbaues ging naturgemäß von der Heilkunde aus. Da diese bei den ältesten Kulturvölkern gewöhnlich von den Priestern ausgeübt wurde, dürfen wir annehmen, dass diese höchsten Vertreter der damalien Bildung schon im zweiten Jahrtausend vuZ. und früher über ein gewisses Maaß von anatomischen Kenntnissen verfügten. Aber genauere Erfahrungen, gewonnen durch die Zergliederung von Säugetieren und von diesem übertragen auf den Menschen finden wir erst bei den griechischen Natur-Philosophen des sechsten und 5. Jahrhunderts vuZ., bei Empedokles (von Agrigent) und Demokritos (von Abdera), von Allen aber den dem berühmtesten Arzte des klassischen Altertums, bei Hippokrates (von Kos). Aus ihren und anderen Schriften schöpfte auch (im vierten Jh. vuZ.) der große Aristoteles, der hochberühmte "Vater der Naturgeschichte", gleich umfassend als Naturforscher wie als Philosoph. Nach ihm erscheint nur noch ein bedeutender Anatom im Altertum, der griechische Arzt Claudius Galenus (von Pergamus); er entfaltete im 2. Jahrhundert in Rom unter Kaiser Marcus Aurelius eine reiche Praxis. Alle diese älteren Anatomen erwarben ihre Kenntnisse zum größten Teil nicht durch die Untersuchung des menschlichen Körpers selbst - die damals noch streng verboten war! -, sondern durch diejenige der menschenähnlichen Säugtiere, besonders der Affen; sie waren also eigentlich schon "vergleichende Anatomen".

Das Emporblühen des Christentums und der damit verknüpften mystischen Weltanschauung bereitete der Anatomie, wie allen anderen Naturwissenschaften, den Niedergang. Die römischen Päpste, die größten Gaukler der Weltgeschichte, waren vor Allem bestrebt, die Menschheit in Unwissenheit zu erhalten, und hielten die Kenntnis des menschlichen Organismus mit Recht für ein gefährliches Mittel der Aufklärung über unser wahres Wesen. Während des langen Zeitraums von 13 Jahrhunderten blieben die Schriften des Galenus fast die einzige Quelle für die menschliche Anatomie, ebenso wie diejenigen des Aristoteles für die gesamte Naturgeschichte. Erst als im 16. Jahrhundert durch die Reformation die geistige Weltherrschaft des Papismus gebrochen und durch das neue Weltsystem des Kopernikus die eng damit verknüpfte geozentrischen Weltanschauung zerstört wurde, begann auch für die Erkenntnis des menschlichen Körpers eine neue Periode des Aufschwungs. Die großen Anatomen Vesalius (aus Brüssel), Eustachius und Fallopius (aus Modena) förderten durch eigene gründliche Untersuchungen die genaue Kenntnis unseres Körperbaues so sehr, dass ihren zahlreichen Nachfolgern bezüglich der gröberen Verhältnisse hauptsächlich nur Einzelheiten festzustellen übrig blieben. Der ebenso kühne als geistreiche und unermüdliche Andreas Vesalius (dessen Familie, wie der Name sagt, aus Wesel stammte) ging bahnbrechend Allen voran; er vollendete schon in seinem 28. Lebensjahre das große, einheitlich durchgeführte Werk "De humani corporis fabrica", 1543; er gab der ganzen menschlichen Anatomie eine neue, selbstständige Richtung und sichere Grundlage. Dafür wurde Vesalius später in Madrid - wo er Leibarzt Karls V. und Philipps II. war - von der Inquisition als Zauberer zum Tode verurteilt. Er rettete sich nur dadurch, dass er eine Reise nach Jerusalem antrat; auf der Rückreise erlitt er bei der Insel Zante Schiffbruch und starb hier im Elend, krank und aller Mittel beraubt.

Vergleichende Anatomie

Die Verdienste, welche unser 19. Jahrhundert sich um die Erkenntnis des menschlichen Körperbaues erworben hat, bestehen vor Allem in dem Ausbau von zwei neuen, überaus wichtigen Forschungsrichtungen, der "vergleichenden Anatomie" und der "Gewebelehre" oder der "mikroskopischen Anatomie". Was zunächst die erstere betrifft, so war sie allerdings schon von Anfang an mit der menschlichen Anatomie eng verknüpft gewesen; ja die letztere wurde sogar solange durch die erstere ersetzt, als die Sektion menschlicher Leichen für ein todeswürdiges Verbrechen galt - und das war sogar noch im 15. Jahrhundert der Fall! Aber die zahlreichen Anatomen der folgenden drei Jahrhunderte beschränkten sich größtenteils auf die genaue Untersuchung des menschlichen Organismus. Diejenige hochentwickelte Disziplin, die wir heute vergleichende Anatomie nennen, wurde erst im Jahre 1803 geboren, als der große französische Zoologe George Cuvier (aus Mömpelgard im Elsaß stammend) seine grundlegenden "Lecons sur l'Anatomie comparée" herausgab und darin zum ersten Male bestimmte Gesetze über den Körperbau des Menschen und der Tiere festzustellen suchte. Während seine Vorläufer - unter ihnen auch Goethe 1790 - hauptsächlich nur das Knochengerüst des Menschen mit demjenigen der übrigen Säugetiere eingehend verglichen hatten, umfasste Cuvier's weiter Blick die Gesamtheit der tierischen Organisation; er unterschied in derselben vier große, voneinander unabhängige Hauptformen oder Typen: Wirbeltiere (Vertebrata), Gliedertiere (Articulata), Weichtiere (Mollusca) und Strahltiere (Radiata). Für die "Frage der Fragen" war dieser Fortschritt insofern epochemachend, als damit klar die Zugehörigkeit des Menschen zum Typus der Wirbeltiere - sowie seine Grundverschiedenheit von allen anderen Typen - ausgesprochen war. Allerdings hatte schon der scharfblickende Linné in seinem ersten "Systema naturae" (1735) einen bedeutungsvollen Fortschritt getan, dass er dem Menschen definitiv seinen Platz in der Klasse der Säugetiere (Mammalia) anwies; ja er vereinigte sogar in der Ordnung der Herrentiere (Primates) die drei Gruppen der Halbaffen, Affen und Menschen (Lemur, Simia, Homo). Aber es fehlte diesem kühnen, systematischen Griffe noch jene tiefere empirische Begründung durch die vergleichende Anatomie, die erst Cuvier herbeiführte. Diese fand ihre weitere Ausführung durch die großen vergleichenden Anatomen unseres Jahrhunderts, durch Friedrich Meckel (in Halle), Johannes Müller (in Berlin), Richard Owen und Thomas Huxley (in England), Carl Gegenbaur (in Jena, später in Heidelberg). Indem dieser Letztere in seinen Grundzügen der vergleichenden Anatomie (1870) zum ersten Male die durch Darwin neu begründete Abstammungslehre auf jene Wissenschaft anwendete, erhob er sie zum ersten Range unter den biologischen Disziplinen. Die zahlreichen vergleichend-anatomischen Arbeiten von Gegenbaur sind, ebenso wie sein allgemein verbreitetes "Lehrbuch der Anatomie des Menschen", gleich ausgezeichnet durch die gründliche empirische Kenntnis eines ungeheueren Tatsachen-Materials, wie durch die umfassende Verwertung im Sinne der Entwicklungslehre. Seine kürzlich erschienene "Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere" (1898) legt den unerschütterlichen Grund fest, auf welchem sich unsere Überzeugung von der Wirbeltier-Natur des Menschen nach allen Richtungen hin klar beweisen lässt.

Gewebelehre (Histologie) und Zellenlehre (Cytologie). In ganz anderer Richtung als die vergleichende, entwickelte sich im Laufe unseres Jahrhunderts die mikroskopische Anatomie. Schon am Anfang desselben (1802) unternahm ein französicher Arzt, Bichat, den Versuch, mittels des Mikroskopes die Organe des menschlichen Körpers in ihre einzelnen feineren Bestandteile zu zerlegen und die Beziehungen dieser verschiedenen Gewebe (Hista oder Tela) festzustellen. Aber dieser erste Versuch führte nicht weit, da ihm das gemeinsame Element für die zahlreichen, verschiedenen Gewebe unbekannt blieb. Dies wurde erst 1838 für die Pflanzen in der Zelle von Matthias Schleiden (in Jena) entdeckt und gleich darauf auch für die Tiere von Theodor Schwann nachgewiesen, dem Schüler und Assistenten von Johannes Müller in Berlin. Zwei andere berühmte Schüler dieses großen und bahnbrechenden Meisters, Albert Kölliker und Rudolf Virchow, führten dann im sechsten Dezennium des 19. Jahrhunderts (in Würzburg) die Zellentheorie und die darauf gegründete Gewebelehre für den gesunden und kranken Organismus des Menschen im Einzelnen durch; sie wiesen nach, dass auch im Menschen, wie in allen anderen Tieren, alle Gewebe sich aus den gleichen mikroskopischen Formbestandteilen, den Zellen, zusammensetzen, und dass diese "Elementar-Organismen" die wahren, selbsttätigen Staatsbürger sind, die zu Milliarden vereinigt, unsern Körper, den "Zellenstaat", aufbauen. Alle diese Zellen entstehen durch oft wiederholte Teilung aus einer einzigen, einfachen Zelle, aus der "Stammzelle" oder "befruchteten Eizelle" (Cytula). Die allgemeine Struktur und Zusammensetzung der Gewebe ist beim Menschen dieselbe wie bei den übrigen Wirbeltieren. Unter diesen zeichnen sich die Säugetiere, die jüngste und höchst entwickelte Klasse, durch gewisse besondere, spät erworbene Eigentümlichkeiten aus. So ist z. B. die mikroskopische Bildung der Haare, der Hautdrüsen, der Milchdrüsen, der Blutzellen bei den Mammalien ganz eigentümlich und verschieden von derjenigen der übrigen Vertebraten; der Mensch ist auch in allen diesen feinsten histologischen Beziehungen ein echtes Säugetier.

Die mikroskopischen Forschungen von Albert Kölliker und Franz Leydig (ebenfalls in Würzburg) erweiterten nicht nur unsere Kenntnis vom feineren Körperbau des Menschen und der Tiere nach allen Richtungen, sondern sie wurden auch besonders wichtig durch die Verbindung mit der Entwicklungsgeschichte der Zelle und der Gewebe; sie bestätigen namentlich die wichtige Theorie von Carl Theodor Siebold (1845), dass die niedrigsten Tiere, die Infusorien und Rhizopoden, einzellige Organismen sind.

Wirbeltier-Natur des Menschen

Unser gesamter Körperbau zeigt sowohl in der gröberen als in der feineren Zusammensetzung den charakteristischen Typus der Wirbeltiere (Vertebrata). Diese wichtigste und höchst entwickelte Hauptgruppe des Tierreichs wurde in ihrer natürlichen Einheit zuerst 1801 von dem großen Lamarck erkannt; er fasste unter diesem Begriffe die vier höheren Tierklassen von Linné zusammen: Säugetiere, Vögel, Amphibien und Fische. Die beiden niederen Klassen: Insekten und Würmer, stellte jenen als "Wirbellose" (Invertebrata) gegenüber. Cuvier bestatigte (1812) die Einheit des Vertebraten-Typus und begründete sie fester durch seine vergleichende Anatomie. In der Tat stimmen alle Wirbeltiere, von den Fischen aufwärts bis zum Menschen, in allen wesentlichen Hauptmerkmalen überein; sie besitzen alle ein festes inneres Skelett, Knorpel- und Knochengerüst, und dieses besteht überall aus einer Wirbelsäule und einem Schädel; die verwickelte Zusammensetzung des letzteren ist zwar im Einzelnen sehr mannigfaltig, aber im Allgemeinen stets auf dieselbe Urform zurückzuführen. Ferner liegt bei allen Vertebraten auf der Rückenseite dieses Axenskeletts das "Seelenorgan", das zentrale Nervensystem, in Gestalt eines Rückenmarks und eines Gehirns; und auch von diesem wichtigen Gehirn - dem Werkzeuge des Bewusstsein und aller höheren Seelentätigkeiten! - gilt dasselbe wie von der es umschließenden Knochenkapsel, den Schädel; im Einzelnen ist seine Ausbildung und Größe höchst mannigfaltig abgestuft, im Großen und Ganzen bleibt die charakteristische Zusammensetzung dieselbe.

Die gleiche Erscheinung zeigt sich nun auch, wenn wir die übrigen Organe unseres Körpers mit denen der anderen Wirbeltiere vergleichen: überall bleibt in Folge der Vererbung die ursprüngliche Anlage und die relative Lagerung der Organe dieselbe, obgleich die Größe und Ausbildung der einzelnen Teile höchst mannigfaltig sich sondert, entsprechend der Anpassung an sehr verschiedene Lebensbedingungen. So sehen wir, dass überall das Blut in zwei Hauptröhren kreist, von denen die eine (Aorta) über dem Darm, die andere (Prinzipalvene) unter dem Darm verläuft, und dass durch Erweiterung der letzteren an einer ganz bestimmten Stelle das Herz entsteht; dieses "Ventral-Herz" ist für alle Wirbeltiere ebenso charakteristisch wie umgekehrt das Rückengefäß oder "Dorsal-Herz" für die Gliedertiere und Weichtiere. Nicht minder eigentümlich ist bei allen Vertebraten die frühzeitige Scheidung des Darmrohres in einen der Atmung dienenden Kopfdarm (oder "Kiemendarm") und einen die Verdauung bewirkenden Rumpfdarm mit der Leber (daher "Leberdarm"); ferner die Gliederung des Muskelsystems, die besondere Bildung der Harn- und Geschlechtsorgane usw. In allen diesen anatomischen Beziehungen ist der Mensch ein echtes Wirbeltier.

Tetrapoden-Natur des Menschen

Mit der Bezeichnung Vierfüßer (Tetrapoda) hatte schon Aristoteles alle jene höheren, blutführenden Tiere belegt, welche sich durch den Besitz von zwei Beinpaaren auszeichnen. Später wurde dieser Begriff erweitert und mit der lateinischen Bezeichnung Quadrupeda vertauscht, nachdem Cuvier gezeigt hatte, dass auch die "zweibeinigen" Vögel und Menschen eigentlich Vierfüßer sind; er wies nach, dass das innere Knochengerüst der vier Beine bei allen höheren landbewohnenden Vertebraten, von den Amphibien aufwärts bis zum Menschen, ursprünglich in gleicher Weise aus einer bestimmten Zahl von Gliedern zusammengesetzt ist. Auch die "Arme" des Menschen, die "Flügel" der Fledermäuse und Vögel zeigen denselben typischen Skelettbau wie die "Vorderbeine" der laufenden, eigentlich vierfüßigen Tiere.

Diese anatomische Einheit des verwickelten Knochengerüstes in den vier Gliedmaßen allen Tetrapoden ist sehr wichtig. Um sich wirklich davon zu überzeugen, braucht man bloß das Skelett eines Salamanders oder Frosches mit demjenigen eines Affen oder Menschen aufmerksam zu vergleichen. Da sieht man sofort, dass vorn der Schultergürtel und hinten der Beckengürtel aus denselben Hauptstücken zusammengesetzt ist wie bei den übrigen "Vierfüßern". Überall sehen wir, dass das erste Glied des eigentlichen Beines nur einen einzigen starken Röhrenknochen enthält (vorn den Oberarm, Humerus; hinten den Obeschenkel, Femur); dagegen wird das zweite Glied ursprünglich stets durch zwei Knochen gestützt (vorn Ellbogen, Ulna, und Speiche, Radius; hinten Wadenbein, Fibula, und Schienbein, Tibia). Vergleichen wir dann weiter den verwickelten Bau des eigentlichen Fußes, so überrascht uns die Wahrnehmung, dass die zahlreichen, denselben zusammensetzenden, kleinen Knochen ebenfalls überall ähnlich angeordnet und gesondert sind; vorn entsprechen sich in allen Klassen der Tetrapoden die drei Knochengruppen des Vorderfußes (oder der "Hand"):

I. Handwurzel (Carpus),

II. Mittelhand (Metacarpus) und

III. fünf Finger (Digiti anteriores); ebenso hinten die drei Knochengruppen des Hinterfußes:

I. Fußwurzel (Tarsus),

II. Mittelfuß (Metatarsus) und

III. fünf Zehen (Digiti posteriores).

Sehr schwierig war die Aufgabe, alle diese zahlreichen kleinen Knochen, die im Einzelnen höchst mannigfaltig gestaltet und umgebildet, teilweise oft verschmolzen oder verschwunden sind, auf eine und dieselbe Urform zurückzuführen, sowie die Gleichwertigkeit (oder Homologie) der einzelnen Teile überall festzustellen. Diese wichtige Aufgabe wurde erst vollständig von dem bedeutendsten vergleichenden Anatomen der Gegenwart gelöst, von Carl Gegenbaur. Er zeigte in seinen "Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere" (1864), wie diese charakteristische "fünfzehige Beinform" der landbewohnenden Tetrapoden ursprünglich (erst in der Steinkohlenperiode) aus der vielstrahligen "Flosse" (Brustflosse oder Bauchflosse) der älteren, wasserbewohnenden Fische entstanden ist. In gleicher Weise hatte Derselbe in seinen berühmten "Untersuchungen über das Kopfskelett der Wirbeltiere" (1872) den jüngeren Schädel der Tetrapoden aus der älteren Schädelform der Fische abgeleitet, derjenigen der Haifische (Selachier).

Besonders bemerkenswert ist noch, dass die ursprüngliche, zuerst bei den alten Amphibien der Steinkohlenzeit entstandene Fünfzahl der Zehen an allen vier Füßen - die Pentadactylie - sich in Folge strenger Vererbung noch beim Menschen bis auf den heutigen Tag conservirt hat. Selbstverständlich ist dem entsprechend auch die typische Bildung der Gelenke und Bänder, der Muskeln und Nerven der zwei Beinpaare, in der Hauptsache dieselbe geblieben wie bei den übrigen "Vierfüßern"; auch in diesen wichtigen Beziehungen ist der Mensch ein echter Tetrapode.

Säugetier-Natur des Menschen

Die Säugetiere (Mammalia) bilden die jüngste und höchst entwickelte Klasse der Wirbeltiere. Sie sind zwar ebenso wie die Vögel und Reptilien aus der älteren Klasse der Amphibien abzuleiten; sie unterscheiden sich aber von allen diesen anderen Tetrapoden durch eine Anzahl von sehr auffallenden anatomischen Merkmalen. Äußerlich tritt vor Allem die Haarbedeckung der Haut hervor, sowie der Besitz von zweierlei Hautdrüsen: Schweißdrüsen und Talgdrüsen. Aus einer lokalen Umbildung dieser Drüsen an der Bauchhaut entstand (während der Trias-Periode?) dasjenige Organ, welches für die Klasse besonders charakteristisch ist und ihr den Namen gegeben hat, das "Gesäuge" (Mammarium). Dieses wichtige Werkzeug der Brutpflege ist zusammengesetzt aus den Milchdrüsen (Mammae) und den Mammar-Taschen (Falten der Bauchhaut); durch ihre Fortbildung entstanden die Zitzen oder "Milchwarzen" (Masta), aus denen das junge Mammale die Milch seiner Mitter saugt. Im inneren Körperbau ist besonders bemerkenswert der Besitz eines vollständigen Zwerchfells (Diaphragma), einer muskulösen Scheidewand, welche bei allen Säugetieren - und nur bei diesen! - die Brusthöhle von der Bauchhöhle gänglich abschließt; bei allen übrigen Wirbeltieren fehlt diese Trennung. Durch eine Anzahl von merkwürdigen Umbildungen zeichnet sich der Schädel der Mammalien aus, besonders der Bau des Kieder-Apparates (Oberkiefer, Unterkieter und Gehörknochen). Aber auch das Gehirn, das Geruchsorgan, das Herz, die Lungen, die inneren und äußeren Geschlechtsorgane, die Nieren und anderen Körperteile zeigen bei den Säugetieren besondere Eigentümlichkeit im gröberen und feineren Bau; diese alle vereinigt weisen unzweideutig auf eine frühzeitige Trennung derselben von den älteren Stammgruppen der Reptilien und Amphibien hin, welche spätestens in der Trias-Periode - vor mindestens zwölf Millionen Jahren! - stattgefunden hat. In allen diesen wichtigen Beziehungen ist der Mensch ein echtes Säugetier.

Plazentalien-Natur des Menschen

Die zahlreichen Ordnungen (12-33), welche die moderne systematische Zoologie in der Klasse der Säugetiere unterscheidet, werden schon seit 1816 (nach Blainville) in drei natürliche Hauptgruppen geordnet, welchen man den Wert von Unterklassen zuspricht: I. Gabeltiere (Monotrema), II. Beuteltiere (Marsupialia) und III. Zottentiere (Placentalia). Diese drei Subklassen unterscheiden sich nicht nur in wichtigen Verhältnissen des Körperbaues und der Entwicklung, sondern entsprechen auch drei verschiedenen historischen Bildungsstufen der Klasse, wie wir später sehen werden. Auf die älteste Gruppe, die Monotremen der Trias-Periode, sind in der Jura-Zeit die Marsupialien gefolgt, und auf diese erst in der Kreide-Periode die Plazentalien. Zu dieser jüngsten Subklasse gehört auch der Mensch; denn er zeigt in seiner Organisation Eigentümlichkeiten, durch welche sich sämtliche Zottentiere von Beuteltieren und den noch älteren Gabeltieren unterscheiden. In erster Linie gehört dahin das eigentümliche Organ, welches der Plazentaliengruppe ihren Namen gegeben hat, der Mutterkuchen (Plazenta). Dasselbe dient dem jungen, im Mutterleibe noch eingeschlossenen Mammalien-Embryo längere Zeit zur Ernährung; es besteht in blutführenden Zotten, welche von der Zottenhaut (Chorion) der Keimhülle auswachsen und in entsprechende Grübchen der Schleimhaut des mütterlichen Fruchtbehälters (Uterus) eindringen; hier wird die zarte Haut zwischen beiden Gebilden so sehr verdünnt, dass unmittelbar die ernährenden Stoffe aus dem mütterlichen Blute durch dieselbe hindurch in das kindliche Blut übertreten können. Diese vortreffliche, erst spät entstandene Ernährungsart des Keimes ermöglicht demselben einen längeren Aufenthalt und eine weitere Ausbildung in der schützenden Gebärmutter; sie fehlt noch den Implazentalien, den beiden älteren Subklassen der Beuteltiere und Gabeltiere. Aber auch durch andere anatomische Merkmale, insbesondere die höhere Ausbildung des Gehirns und den Verlust des Beutelknochen, erheben sich die Zottentiere über ihre Implazentalien-Ahnen. In allen diesen wichtigen Beziehungen ist der Mensch ein echtes Zottentier.

Primaten-Natur des Menschen

Die formenreiche Subklasse der Plazental-Tiere wird neuerdings in eine große Zahl von Ordnungen geteilt; gewöhnlich werden deren 10-16 angenommen; wenn man aber die wichtigsten, in neuester Zeit entdeckten, ausgestorbenen Formen gehörig berücksichtigt, steigt ihre Zahl auf mindestens 20-26. Zur besseren Übersucht dieser zahlreichen Ordnungen und zur tieferen Einsicht in ihren verwandtschaftlichen Zusammenhang ist es sehr wichtig, sie in natürliche größere Gruppen zusammenzustellen, denen ich den Wert von Legionen gegeben habe. In meinem neuesten Versucht, das verwickelte Plazentalien-System phylogenetisch zu ordnen, habe ich zur Aufnahme der 26 Ordnungen 8 solche Legionen aufgestellt und gezeigt, dass diese sich auf 4 Stammgruppen zurückführen lassen. Diese letzteren sind wiederum auf eine gemeinsame älteste Stammgruppe aller Plazentalien zurückführbar, auf die fossilen Urzottentiere, die Prochoriaten der Kreideperiode. Diese schließen sich unmittelbar an die Marsupialien-Ahnen der Juraperiode an. Als wichtigste Vertreter führen wir hier nur die Nagetiere, Huftiere, Raubtiere und Herrentiere an. Zur Legion der Herrentiere (Primates) gehören die drei Ordnungen der Halbaffen (Prosimiae), der echten Affen (Simiae) und der Menschen (Anthropi). Alle Angehörigen dieser drei Ordnungen stimmen in vielen wichtigen Eigentümlichkeiten überein und unterscheiden sich dadurch von den 23 übrigen Ordnungen der Zottentiere. Besonders zeichnen sie sich durch lange Beine aus, welche ursprünglich der kletternden Lebensweise auf Bäumen angepasst sind. Hände und Füße sind fünfzehig und die langen Finger vortrefflich zum Greifen und zum Umfassen der Baumzweite geeignet; sie tragen entweder teilweise oder sämtlich Nägel (keine Krallen). Das Gebiss ist vollständig aus allen vier Zahlreihen zusammengesetzt (Schneidezähne, Eckzähne, Lückenzähne, Backenzähne). Auch durch wichtige Eigentümlichkeiten im besonderen Bau des Schädels und des Gehirns unterscheiden sich die Herrentiere von den übrigen Zottentieren, und zwar umso auffälliger, je höher sie ausgebildet, je später sie in der Erdgeschichte aufgetreten sind. In allen diesen wichtigen anatomischen Beziehungen stimmt unser menschlicher Organismus mit demjenigen der übrigen Primaten überein: der Mensch ist ein echtes Herrentier.

Affen-Natur des Menschen

Eine unbefangene gründliche Vergleichung des Körperbaues der Primaten lässt zunächst in dieser höchst entwickelten Mammalien-Legion zwei Ordnungen unterscheiden: Halbaffen (Prosimiae oder Hemipitheci) und Affen (Simiae oder Pitheci). Die ersteren erscheinen in jeder Beziehung als die niedere und ältere, die letzteren als die höhere und jüngere Ordnung. Die Gebärmutter der Halbaffen ist noch doppel- oder zweihörnig, wie bei allen übrigen Säugetieren; bei den Affen dagegen sind rechter und linker Fruchtbehälter völlig verschmolzen; sie bilden einen birnförmigen Uterus, wie ihn außerdem nur der Mensch besitzt. Wie bei diesem, so ist auch bei den Affen am Schädel die Augenhöhle von Schläfengrube durch eine knöcherne Scheidewand vollständig getrennt; bei den Halbaffen ist diese noch gar nicht oder nur unvollständig ausgebildet. Endlich ist bei den Halbaffen das große Gehirn noch glatt oder nur schwach gefurcht, verhältnismäßig klein; bei den Affen ist es viel größer, und besonders der graue Hirnmantel, das Organ der höheren Seelentätigkeiten, ist viel besser entwickelt; an seiner Oberfläche sind die charakteristischen Windungen und Furchen um so mehr ausgeprägt, je mehr er sich dem Menschen nähert. In diesen und anderen wichtigen Beziehungen, besonders in der Bildung des Gesichts und der Hände, zeigt der Mensch alle anatomischen Merkmale der echten Affen.

Katarrhinen-Natur des Menschen

Die formenreiche Ordnung der Affen wurde schon 1812 von Geoffroy in zwei natürliche Unterordnungen geteilt, die noch heute allgemein in der systematischen Zoologie angenommen sind: Westaffen (Platyrrhinae) und Ostaffen (Catarrhinae); erstere bewohnen ausschließlich die westliche, letztere die östliche Erdhälfte. Die amerikanischen Westaffen heißen "Plattnasen" (Platyrrhinae), weil ihre Nase plattgedrückt, die Nasenlöcher seitlich gerichtet und deren Scheidewand breit ist. Dagegen sind die Ostaffen, welche die Alte Welt bewohnen, sämtlich "Schmalnasen" (Catarrhinae); ihre Nasenlöcher sind wie beim Menschen nach unten gerichtet, da ihre Scheidewand schmal ist. Ein weiterer Unterschied beider Gruppen besteht darin, dass das Trommelfell bei den Westaffen oberflächlich, dagegen bei den Ostaffen tiefer, im Innern des Felsenbeins liegt; hier hat sich ein langer und enger knöcherner Gehörgang entwickelt, während dieser bei den Westaffen noch kurz und weit ist oder selbst ganz fehlt. Endlich zeigt sich ein sehr wichtiger und durchgreifender Gegensatz beider Gruppen darin, dass alle Katarrhinen die Gebiss-Bildung des Menschen besitzen, nämlich 20 Milchzähne und 32 bleibende Zähne (in jeder Kieferhälfte 2 Schneidezähne, 1 Eckzahn, 2 Lückenzähne und 2 Mahlzähne). Die Platyrrhinen dagegen zeigen in jeder Kieferhälfte einen Lückenzahn mehr, also in Ganzen 36 Zähne. Da diese anatomischen Unterschiede beider Affengruppen ganz allgemein und durchgreifend sind, und da sie mit der geographischen Verbreitung in den beiden getrennten Hemisphären der Erde zusammenstimmen, ergibt sich daraus die Berechtigung ihrer scharfen systematischen Trennung, und weiterhin der daran geknüpften phylogenetischen Folgerung, dass sei sehr langer Zeit (seit mehr als einer Million Jahre) sich beide Unterordnungen in der westlichen und östlichen Hemisphäre getrennt voneinander entwickelt haben. Das ist für die Stammesgeschichte unseres Geschlechts überaus wichtig; denn der Mensch teilt alle Merkmale der echten Katarrhinen; er hat sich aus älteren ausgestorbenen Affen dieser Unterordnung in der Alten Welt entwickelt.

Anthropomorphen-Gruppe

Die zahlreichen Formen der Katarrhinen, welche noch heute in Asien und Afrika leben, werden schon seit langer Zeit in zwei natürliche Sectionen geteilt: die geschwänten Hundsaffen (Cynopitheca) und schwanzlosen Menschenaffen (Anthropomorpha). Diese letzteren stehen dem Menschen viel näher als die ersteren, nicht nur in dem Mangel des Schwanzes und in der allgemeinen Gestaltung des Körpers (besonders des Kopfes), sondern auch durch besondere Merkmale, die an sich unbedeutend, aber wegen ihrer Beständigkeit wichtig sind. Das Kreuzbein ist bei den Menschenaffen, wie beim Menschen, aus fünf verschmolzenen Wirbeln zusammengesetzt, dagegen bei den Hundsaffen nur aus drei (seltener vier) Kreuzwirbeln. Im Gebiss der Cynopitheken sind die Lückenzähne (Praemolares) länger als breit, in demjenigen der Anthropomorphen breiter als lang; und der erste Mahlzahl (Molaris) zeigt bei den ersteren vier, bei den letzteren dagegen fünf Höcker. Ferner ist im Unterkiefer jederseits bei den Menschenaffen, wie beim Menschen, der äußere Schneidezahn breiter als der innere, bei den Hundsaffen umgekehrt schmäler. Endlich ist von besonderer Bedeutung die wichtigste, erst 1890 durch Selenka festgestellte Tatsache, dass die Menschenaffen mit dem Menschen auch die eigentümlichen feineren Bildungsverhältnisse seiner scheibenförmigen Plazenta, der Decidua reflexa und des Bauchstiels teilen (vergl. Kap. 4). Übrigens ergibt schon die oberflächliche Vergleichung der Körperform der heute noch lebenden Anthropomorphen, dass sowohl die asiatischen Vertreter dieser Gruppe (Orang und Gibbon), als die afrikanischen Vertreter (Gorilla und Schimpanse) dem Menschen im gesamten Körperbau näher stehen als sämtliche Cynopitheken. Unter diesen letzteren stehen namentlich die hundsköpfigen Papstaffen (Papiomorpha), die Paviane und Meerkatzen, auf einer sehr tiefen Bildungsstufe. Der anatomische Unterschied zwischen diesen rohen Papstaffen und den höchst entwickelten Menschenaffen ist in jeder Beziehung - welches Organ man auch vergleichen mag! - größer als derjenige zwischen den letzteren und dem Menschen. Diese lehrreiche Tatsache wurde besonders eingehend (1883) von dem Anatomen Robert Hartmann begründet in seiner Schrift über "Die menschenähnlichen Affen und ihre Organisation im Vergleiche zur menschlichen;" er schlug daher vor, die Affen-Ordnung in anderer Weise einzuteilen, in die beiden Hauptgruppen der Primarier (Menschen und Menschenaffen) und der eigentlichen Simien oder Pitheken (die übrigen Katarrhinen und alle Platyrrhinen). Jedenfalls ergibt sich daraus die engste Verwandtschaft des Menschen mit den Menschenaffen.

Die vergleichende Anatomie ergibt somit für den unbefangenen und kritischen Forscher die bedeutungsvolle Tatsache, dass der Körperbau des Menschen und der Menschenaffen nicht nur im höchsten Grade ähnlich, sondern in allen wesentlichen Beziehungen derselbe ist. Dieselben 200 Knochen, in der gleichen Anordnung und Zusammensetzung, bilden unser inneres Knochengerüst; dieselben 300 Muskeln bewirken unsere Bewegungen; dieselben Haare bedecken unsere Haut; dieselben Gruppen von Ganglienzellen setzen den kunstvollen Wunderbau unseres Gehirns zusammen; dasselbe vierkammerige Herz ist das zentrale Pumpwerk unseres Blutkreislaufs; dieselben 32 Zähne setzen in der gleichen Anordnung unser Gebiss zusammen; dieselben Speicheldrüsen, Leber- und Darmdrüsen vermitteln unsere Verdauung; dieselben Organe der Fortpflanzung ermöglichen die Erhaltung unseres Geschlechts.

Allerdings finden wir bei genauer Vergleichung gewisse geringe Unterschiede in der Größe und Gestalt der meisten Organe zwischen dem Menschen und Menschenaffen; allein dieselben oder ähnliche Unterschiede entdecken wir auch bei der sorgfältigen Vergleichung der höheren und niederen Menschenrassen, ja sogar bei der exakten Vergleichung aller einzelnen Individuen unserer eigenen Rasse. Wir finden nicht zwei Personen in derselben, welche ganz genau dieselbe Größe und Form der Nase, der Ohren, der Augen usw. haben. Man braucht bloß aufmerksam in einer größeren Gesellschaft diese einzelnen Teile der menschlichen Gesichtsbildung bei zahlreichen Personen zu vergleichen, um sich von der erstaunlichen Mannigfaltigkeit in deren spezieller Gestaltung, von der weitgehenden Variabilität der Spezies-Form zu überzeugen. Oft sind ja bekanntlich selbst Geschwister von so verschiedener Körperbildung, dass ihre Abstammung von einem und demselben Elternpaare kaum glaublich erscheint. Alle diese individuellen Unterschiede beeinträchtigen aber nicht das Gewicht der fundamentalen Gleichheit im Körperbau; denn sie sind nur bedingt durch geringe Verschiedenheiten in Wachstum der einzelnen Teile.