| Gilgamesch
Epos und Erläuterungen
Das Wissen um die Existenz der Keilschrift geht zurück bis ins 17.
Jahrhundert uZ. Der italienische Reisende Pietro della Valle sandte die ersten
angefertigten Keilschriftkopien nach Europa. Die erregendsten Nachrichten
nicht nur von Schriften und Denkmälern, sondern auch von Land und Leuten
jener Landschaften brachte Karsten Niebur. Dieser Hannoveraner stand in
den Diensten Friedrichs V. von Dänemark. Von 1760-1767 bereiste er mit
anderen Gelehrten den Orient. Innerhalb eines Jahres starben jedoch alle
Expeditionsteilnehmer außer Niebuhr. Er reiste allein weiter, kam heil
zurück und gab mit seiner "Reisebeschreibung von Arabien und anderen
umliegenden Ländern" das Buch heraus, das Napoleon 1798 auf seiner
Fahrt nach Ägypten ständig bei sich trug.
Diese ersten Keilschriftkopien, die auf allerlei Umwegen, unvollständig,
verstümmelt, schlecht abgezeichnet nach Europa kamen, waren kaum von assyrisch-babylonischem
Boden in geografischem Sinn. Sie stammten fast alle aus einem Ruinenfeld
7 Meilen nordöstlich von Schira. Ein riesiger Trümmerhaufen, den schon
Niebuhr mit Recht für die Reste des alten Persepolis gehalten hatte..
Diese Bautrümmer gehören einer jüngeren Kultur an, als jene, die unter
Bottas Spaten in den Jahren 1843-1846 zu Tage traten. Es handelt sich
um Überreste der Residenz des Darius und Xerxes, des riesigen Palastes,
den Alexander der Große "während eines Trinkgelages, als er seiner Sinne
nicht mehr mächtig war” (Didor) zerstörte.. Die Schriften von Persepolis
(und deshalb ist bei allen ersten Veröffentlichungen über die Entzifferung
der Keilschrift niemals von assyrischen oder babylonischen sondern stets
nur von persepolitanischen Inschriften die Rede) wurden zum Schlüssel
zu allen anderen Funden im Euphrat- und Tigris-Tal.
Abschrift einer altpersischen Keilschrift
Als Botta neben den Skulpturen auch die mit den sonderbaren
Keilzeichen bedeckten Ziegel sammelte, als er sie abzeichnen ließ und
nach Paris schickte (selber ohne die geringste Ahnung, wie diese Zeichen
zu lesen waren), da saßen, verbreitet über Europa und den Vorderen Orient,
eine ganze Anzahl von Gelehrten in ihren Klausen, die den Schlüssel zur
Lesung einfacher Texte bereits in Händen hielten.
Der erste Mann, der den entscheidenden Schritt zur Entschlüsselung
der Keilschriften getan hat war ein Deutscher namens Georg Friedrich Grotefend
(1775-1853),. der im Jahre 1802 Hilfslehrer an der Stadtschule
zu Göttingen war. Er entzifferte mit Hilfe einer Methode, die für alle
Zeiten das Beiwort genial verdient, die ersten zehn Buchstaben einer Keilschrift.
Die Entzifferung ist genial. Sie ist eine der Meisterleistungen des menschlichen
Gehirns.
Die grundlegenden Erkenntnisse zur Entzifferung der Keilschriftsysteme
waren also bereits gemacht, als von Sargons Palast noch keine Mauer zutage
lag, als man von Ninive, auf das Layard den Spaten ansetzte, nichts wusste,
als das, was die Bibel erzählt.
Der nächste, der sich mit der altpersischen Keilschrift
befasste,
war Sir Henry Creswicke Rawlinson. Er lebte 1851 als Generalkonsul in
Bagdad;1837 und 1844 schrieb er die persischen und elamitischen Partien
der Behistun-Inschriften ab. Besutun (Behistun, Behistan) ist ein Ort
30 km östlich von Kermanschah im Iran. In einem Felsmassiv ließ Dareios
die ersten Reliefdarstellungen einmeißeln. Es sind Abbildungen der
Könige
vor gefesselten Gefangenen. Der Gott Ahura-Masda thront über der Szene.
Dazu ließ Dareios eine dreisprachige Tafel anbringen. Sie war in
altpersisch, elamitisch und babylonisch abgefasst. Diese Inschrift
lieferte einen weiteren
Schlüssel
zur Entzifferung der Keilschrift.
Abschrift einer Keilschrift/Rawlinson
Und nun, nach Bottas Pioniertat, gefolgt von Layards Entdeckungen
und bereichert durch die Erkenntnisse Rawlisons geriet die Übersetzung
weiterer Keilschrifttafeln ins Stocken, denn bei den weiteren Tontafeln
handelte es sich offenbar um verschiedene Sprachen und fortgeschrittene
Wortbedeutungen.
Nur der Fachmann weiß von den Schwierigkeiten, den Umwegen
und Irrwegen, die die Forscher gehen mussten, ehe sie die ersten Ergebnisse
vorlegen konnten, ehe sie bestätigen konnten, dass sie in der Lage sind,
die Übersetzungen wissenschaftlich zu untermauern.
Erst die Auffindung von etwa 100 Tontafeln in Kujundschik,
wo schon Botta gegraben hatte, ermöglichten die weitere Übersetzung
der Keilschrift. Wie sich später herausstellte handelte es sich bei
diesen Funden um Tafeln, die ungefähr aus der Mitte des 7. Jahrhunderts
stammten, offenbar für Schüler der Keilschrift hergestellte Gegenüberstellungen
der verschiedenen Wertungen und Bedeutungen der einzelnen Zeichen.
Man
fand nach und nach ganze "Lehrbücher” und "Wörterbücher”, in welchen
die sumerischen Namen dem semitischen Äquivalent gegenüberstanden. Schließlich
fand man sogar ein "Lexikon”, in dem zusammengehörende Gegenstände des
täglichen Lebens reihenweise nebeneinandergestellt waren und stets
war in der ersten Spalte wiederum der sumerische und in der zweiten
der semitische
Name zu finden. So bedeutend dieser Fund auch war, brachte er doch
nur Anhaltspunte. Es schien unmöglich, durch das Dickicht der Vieldeutigkeiten
der Keilschrift einen Weg zur Übersetzung der Zeichen zu finden.
Dass sich in solch ungeheuren Zeitläufen mit allem anderen
nicht nur die Sprachen sondern auch die Schriften wandelten, leuchtet
ein. Genausowenig wie Hieroglyphe gleich Hieroglyphe war, war Keilschrift
nicht gleich Keilschrift. Was Botta nach Paris schickte, sah völlig
anders aus als das, was Niebuhr aus Persepolis mitgebracht hatte. Doch
die
Schriften
von Persepolis, diese Tafeln, zweieinhalbtausend Jahre alt, wurden der
Schlüssel zu allen anderen, die aus dem Schutt des Euphrat- und Tigris-Tals
geborgen wurden.
Um die Öffentlichkeit von der Richtigkeit der Übersetzungen
zu überzeugen, wurden zur gleichen Zeit den vier damals bedeutendsten
Keilschriftkennern, ohne dass der eine vom anderen wusste, von der Asiatischen
Gesellschaft in London (in versiegelten Umschlägen) eine neuentdeckte,
umfangreiche assyrische Keilschrift vorgelegt, mit der Bitte sie
umgehend zu entziffern; eine für die Wissenschaft unübliche Methode. Die
vier Gelehrten waren die Engländer Rawlison, Talbot, der Ire Hincks und
der Deutsch-Franzose Oppert. Sie machten sich zur gleichen Zeit an die
Arbeit. Keiner ahnte vom anderen, jeder arbeitete nach seiner Methode.
Eine Kommission prüfte die eingegangen Texte. Was noch kurz zuvor so laut
bezweifelt worden war, wurde jetzt bestätigt. Es ist möglich, auch diese
so überaus komplizierte Silbenschrift zu lesen. Alle vier Texte stimmten
in den wesentlichen Punkten überein. Die offizielle Bestätigung erfolgte
im Jahr 1857 in London: Einer der überzeugendsten Beweise für die
Möglichkeit, wissenschaftliche Ziele allen Schwierigkeiten zum Trotz auf
getrennten Wegen in voller Übereinstimmung zu erreichen ist durch die
Übersetzung der Inschrift von Tiglath-Pileser, König von Assyrien, übersetzt
von Rawlinson, Talbot, Dr. Hincks und Oppert gelungen..
Es fügten sich nun Ausgrabungsergebnisse, Entdeckungen, Entzifferungen,
Verbesserungen und Erkenntnisse aus Sprachwissenschaft und allgemeiner
Geschichte der alten Völker in einem Jahrzehnt zu so festgefügtem wissenschaftlichen
Bau zusammen, dass um die Mitte des vorigen Jahrhunderts das wissenschaftliche
Rüstzeug restlos bereitstand, um jede nun folgende Entdeckung des Spatens
sofort zu verarbeiten.
Nachdem 1849 das alte Ninive wiederentdeckt worden war, fand
Hormuzd Rassam (ungefähr 1870) 14 km nördlich von Nimrud /bei Balawat,
bei weiteren Ausgrabungen nicht nur einen Tempel Assurbanipals sondern
die Reste einer Terassenstadt, d.h. eine Unzahl von beschrifteten Tontafeln,
die er zur Begutachtung nach London ins Britische Museum schickte. Dort
sichtete und übersetzte George Smith die vielen tausend Keilschriftfragmente.
Er übersetzte Teile der Geschichte des Gilgamesch und entdeckte schließlich
1872 jenes Tafelbruchstück, das einen aus der Bibel bekannten Sintflutbericht
enthielt. Als aber immer größere Lücken im Text der Rassam-Platten auftauchen
stellte Smith fest, dass ihm nur ein Teil der Inschrift vorlag, das Wesentliche
aber, der Schluss des großen Epos, die Erzählung Ut-napitschtis, nur in
Bruchstücken vorhanden war. George Smith war von dem übersetzten Text
so fasziniert, dass er unbedingt auch die restlichen Fragmente übersetzen
wollte.
Er reiste also tausende von Kilometern von London nach Kujundschik in
Mesopotamien, um dort, in einem riesigen Schutthügel ganz bestimmte Tontafeln
zu suchen. Das fast Unmögliche gelang ihm. Er brachte 384 Tontafel-Fragmente
nach England, darunter die fehlenden Stücke zur Geschichte des Ut-napischtis.
Diese Geschichte war der Bericht von der Sintflut, denn Ut-napischti war
Noah! (s. Tafel 11 mit Gegenüberstellung des biblischen Textes).
Bis heute wurden etwa 500.000 Tontafeln gefunden, die noch nicht alle
übersetzt sind. Nach solchen Tafeln konnte das Gilgamesch-Epos rekonstruiert
werden. Etwa 95 % aller sumerisch erhaltenen Schrifttafeln tragen
wirtschaftliche Hinweise.
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