"Ich aber erforsche das Leben"
Die Lebensgeschichte des Naturforschers Jean-Henri Fabre

Tod

Der Tod tritt oft auf in diesem Lobgesang auf das Leben. Noch ferner, noch fremdartiger zeigt sich die Welt der Insekten, sobald er erscheint.

Da sind die Totengräber, Käfer, die Tierleichen bestatten, indem sie die Erde darunter weggraben. In den Kadavern wachsen die Larven heran. »In der ersten Junihälfte, wenn die Familie genügend versorgt ist, hören die Begräbnisse auf, und in meinen Volieren bleibt die Oberfläche verlassen, trotz neuer Mäuse und Spatzen. Von Zeit zu Zeit verlässt einer der Gräber den Untergrund und schleppt sich matt an die frische Luft. Etwas sehr Seltsames erregt da meine Aufmerksamkeit. Alle, die da aus dem Boden hervorkommen, sind verstümmelt, in den Gelenken amputiert, einige mehr oben, einige mehr unten. Ich sehe einen Krüppel, dem nur ein einziges Bein geblieben ist. Mit diesem einzelnen Glied und den Stummeln der anderen rudert er über die staubige Oberfläche, kläglich zerlumpt und voll Ungeziefer. Ein Kamerad taucht auf, noch besser zu Fuß, der dem Invaliden den Rest gibt und ihm den Bauch aufschlitzt. Genauso enden die dreizehn mir verbliebenen Totengräber, zur Hälfte von ihren Genossen verzehrt, oder zumindest einiger Glieder beraubt. Auf die friedlichen Beziehungen zu Anfang folgt der Kannibalismus. (...) Am Ende ihrer Tage, zu nichts mehr nütze, ein erschöpftes Leben weiterschleppend, vernichten sie sich gegenseitig. Wozu die Agonie der Kranken und Gebrechlichen verlängern? (...) Wenn die Sorgen um die Brut enden, enden auch die Freuden des Lebens. Das Tier verschlechtert sich dann zuweilen, und die unrichtig gehende Maschine endet in Verirrungen«.

Video: Gottesanbeterin (mantis religiosa)

Weithin bekannt wurde das Verhalten der Gottesanbeterin, das in den »Souvenirs« zum ersten Mal beschrieben wurde. »Ich überrasche das folgende grässliche Paar: Das Männchen, zur Verrichtung seiner vitalen Funktionen aufgenommen, hält das Weibchen eng umschlungen. Doch der Unglückliche hat keinen Kopf mehr. Er hat keinen Hals, und fast nichts mehr vom Vorderleib. Die andere, die Schnauze über die Schulter gekehrt, fährt ganz friedlich fort, die Reste des süßen Liebhabers zu verspeisen. Und dieser männliche Stumpf setzt fest angeklammert seine Verrichtung fort!

Die Liebe ist stärker als der Tod, sagt man. Buchstäblich genommen, hat dieses Sprichwort noch nie eine schlagendere Bestätigung erfahren. Ein Enthaupteter, ein bis zur Mitte der Brust Amputierter, ein Leichnam will nicht aufhören, Leben zu spenden. Er wird nicht nachlassen, solange bis sein Leib, der Sitz der Fortpflanzungsorgane, ausgeweidet ist. Den Geliebten nach Vollziehung der Ehe zu verspeisen, sich von dem erschöpften Zwerg, der ja doch zu nichts mehr gut ist, sich noch eine Mahlzeit zu machen, das begreift man ja noch bis zu einem gewissen Maß bei einem Insekt, das in Gefühlssachen wenig Skrupel hat; doch ihn während des Akts aufzuknabbern, das übersteigt doch alles, was eine scheußliche Vorstellungskraft zu träumen wagen könnte. Ich habe es gesehen, mit meinen Augen gesehen, und mich von meiner Überraschung noch nicht erholt.«

Das winzige Männchen der Gottesanbeterin hat keine Chance, sich zu wehren. Die Weibchen der Goldlaufkäfer verhalten sich ganz ähnlich wie die Gottesanbeterin, doch ihre Männchen sind kaum kleiner als sie. »Das angefallene Männchen schlägt nicht zurück, wehrt sich nicht. Es versucht bloß zu fliehen, indem es, so gut es kann, zieht. Würde es sich um einen regelrechten Kampf handeln (...), so würde sich der Angegriffene zur Wehr setzen. Das könnte er; er dürfte sich bloß umdrehen und Biss mit Biss vergelten. Seine Kraft erlaubte ihm einen Kampf, der sich zu seinen Gunsten wenden könnte, und der Tölpel lässt sich ruhig den Bürzel aufreißen! Es scheint, als ob ein unbesieglicher Widerwille ihn daran hinderte, einfach den Spieß umzudrehen und seinerseits ein wenig die zu verspeisen, die ihn verspeist. Diese Ergebenheit ruft einem den Skorpion von Languedoc in Erinnerung, der sich, nach vollbrachter Hochzeit, von seiner Gefährtin verschlingen lässt, ohne von seiner Waffe Gebrauch zu machen, dem giftigen Stachel, der der Gevatterin wohl zusetzen könnte. Sie lässt uns auch an den Liebhaber der Gottesanbeterin denken, der zuweilen schon zum Torso verstümmelt sein Fortpflanzungswerk fortsetzt und sich Stück für Stück auffressen lässt, ohne sich zu wehren. Das sind Hochzeitbräuche, gegen die das Männchen sich nicht aufzulehnen hat.« Aber auch für die Weibchen ist das Leben mit der Eiablage zu Ende. Einige Schmetterlingsarten haben im Geschlechtsstadium - als Imago - gar keine Fress- und Verdauungsorgane.

Sie zehren vom Fett, das sie als Raupen gespeichert haben. Ihnen bleibt nur kurze Zeit, um sich zu paaren und fortzupflanzen, dann gehen sie zugrunde. Kurz bevor die Erbsen reifen, legen die Erbsenkäfermütter ihre Eier auf die Schoten. Wenn die winzigen Larven schlüpfen, bohren sie sich in die Erbsen und lassen sich im nächstgelegenen Erbsenkorn nieder. Oft sind es fünf bis zehn in einer Erbse. Sie fressen friedlich vor sich hin, bis eine in der Mitte des Korns angelangt ist. Die wird rasch groß, und sobald sie etwas größer ist als ihre Mitbewerber, hören die anderen zu fressen auf und sterben. »Wie erfahren sie, dass der Platz besetzt ist? Nehmen sie aus der Entfernung die Bewegung des Fressens wahr? Etwas dergleichen muss geschehen, denn von da an hören ihre Versuche, die Bohrung weiterzutreiben, auf. Ohne gegen den glücklichen Emporkömmling zu streiten, ohne Versuch, ihn zu vertreiben, finden sich die Zurückgebliebenen ins Sterben.

Ich liebe diese geduldige Ergebung der Zuspätgekommenen.« Wenn es Winter wird, begehen die Völker der Papierwespe Selbstmord. Die Arbeiterinnen, sonst ergebene Pflegerinnen der Brut, reißen die Larven aus ihren Zellen, schleppen sie aus dem Nest und werfen sie in die Leichengrube darunter. Die Eier fressen sie auf. Dann gehen sie langsam zugrunde. Auch die fortpflanzungsfähigen Weibchen sterben zum allergrößten Teil. Nur ganz wenige überleben, die im nächsten Jahr dann neue Völker gründen. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Forscher den ganzen Stock an die Wärme holt und mit Nahrung versorgt. Der Wespenorganismus, der Staat als Ganzes, fühlt seine Zeit gekommen und löst sich auf. »Wenn alle gedeihen würden, welche Plage! Die Wespen würden die Landschaft tyrannisieren. Die Ordnung der Dinge verlangt, dass die ungeheure Mehrheit zugrunde gehe, getötet nicht von einer zufälligen Epidemie oder der Ungnade der Jahreszeit, sondern durch ein unausweichliches Schicksal, das mit demselben Eifer zerstört, wie es hervorbringt. Freilich erhebt sich eine Frage: Wenn eine einzige, auf die eine oder andere Weise Gerettete, ausreicht, um die Art zu erhalten, warum dann so viele Anwärterinnen auf die Mutterschaft in einem Wespennest? Warum die Vielheit anstelle der Einheit? Warum so viele Opfer? Beunruhigende Frage, in der unser Begriffsvermögen sich verliert.«

Freude
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