"Ich aber erforsche das Leben"
Die Lebensgeschichte des Naturforschers Jean-Henri Fabre

Kreisel

Es war 1871. Zwanzig Jahre hatte er in Avignon verbracht. Er war jetzt neunundvierzig. Die materiellen Sorgen drängten wie noch nie. Er machte sich nun ernsthaft daran, Lehrbücher zu schreiben. Sie sollten auch den jüngsten Geistern die Wissenschaften zugänglich machen. Neun Jahre lang würde das seine Hauptbeschäftigung sein, und nun hatte er endlich Erfolg. Gegen Ende des Jahres konnte er seine Schuld an Mill zurückzahlen.

Die alten Lehrbücher hatten nur das Gedächtnis belastet. Hatten das Bewusstsein leer, den Verstand untätig gelassen. Die neuen Bücher waren klar, lichtvoll, einfach, sprachen zum ersten Mal zur Intelligenz und zum Herzen. »Eine Arbeit, die man nicht versteht, stößt ab!« Er besann sich auf sein eigenes Lernen. Erinnerte sich an die Phasen, die sein Geist durchlaufen musste. Vergegenwärtigte sich, durch welche intuitiven Methoden er eine Schwierigkeit nach der anderen überwunden, seine Kenntnisse erworben hatte. Er suchte nach allgemein bekannten, verständlichen Beispielen, fand passende Vergleiche, eindringliche, ergreifende Bilder. Die Bücher behandelten, wo sie sich nicht dem Lehrplan unterordnen mussten, nicht Fächer. Sie hießen nicht nur: Physik, Chemie, Zoologie, Botanik, Geologie.

Sie hießen auch: »Der Himmel«, »Die Erde". »Die Chemie des Onkel Paul«, »Geschichte eines Holzscheits", »Die Spielzeuge«, »Der Kreisel«. Ganzheitlichkeit wurde angestrebt, nicht Zergliederung. »Im geringsten, ganz naiven Gerät, wie es der kindliche Fleiß ersinnt, sind oft im Keim schöne Wahrheiten enthalten, und besser als das Buch wird die Schule des Spielzeugs dem Kind das Fenster zur Welt öffnen.« »Der bescheidene Kreisel, aus einer Kruste Roggenbrot gemacht und aufgespießt auf ein kleines Zweiglein« wird, wenn er sich lautlos auf einer Buchseite dreht, zum Modell der Erdkugel, die unwandelbar ihren ursprünglichen Impuls bewahrt und, während sie ihre große Runde macht, sich gleichzeitig um sich selbst dreht. Werden auf seine Scheibe gefärbte Papierstücke geklebt, dient er als Anlass, vom weißen Licht zu sprechen, das in seine Farben zerlegt werden kann. Ein ausgehöhlter Holunderzweig ergibt eine Kanone. Ein Stöpsel aus Werg, der sie an einem Ende verschließt, wird von einem zweiten, der vom anderen Ende hineingestoßen wird, mittels Pressluft hinausgeschossen. So lässt sich die Ballistik des Schießpulvers vergegenwärtigen. Und auch die Wirkung des Dampfdrucks in den Maschinen. »Die Schädlinge« behandelt in klarer, lebendiger Sprache die wichtigsten Schadinsekten der Landwirtschaft.

»Die Nützlinge« beschreibt Vögel, Säugetiere und Lurche, die geschützt werden müssen, um die Schädlinge in Schach zu halten. Erstmals deutet sich hier die Idee des biologischen Gleichgewichts an. »Die Diener« schließlich schildert Ursprung, Lebensweise und Eigenschaften der unterschiedlichen Haustiere in Hof, Garten, Haus. »Die Industrie« behandelt die Beschaffenheit und Herstellung so verschiedener Dinge wie Spiegel, Papier, Münzen, Kaffee, Bier und Wein. Chemie, Physik, Astronomie, Geographie, Biologie, Arithmetik und Geometrie, praktisch das gesamte Gebiet der damaligen Naturwissenschaft behandelt das pädagogische Werk. Für alle Altersstufen bis hinunter zur Vorschule. »Die kleinen Mädchen« etwa sollte schon im Kindergarten den Horizont der Mädchen über den Bereich des Haushalts hinaus erweitern. Die Lehr- und Sachbücher erlebten oft über ein Dutzend Neuauflagen, wurden in andere Sprachen übersetzt. Ihre genaue Zahl lässt sich nicht mehr ermitteln.

Erinnerung
Inhalt